top of page
Autorenbildbunland8

Innenstadtvergleich | Ergebnis 1:0 für NL

Am einem Samstag Ende September 2021 fuhr ich mit Freunden in unsere holländische Nachbarstadt Winterswijk. Wir fuhren ca. 14 Uhr dort rüber, um nach mehr als 1 Jahr mal wieder Backfisch in Holland auf dem Markt zu essen. Als Nachtisch sollte es frische Appelflappen geben. Herrlich!! Das ist das totale Junkfood, aber lecker... einfach richtig lecker!!


Wir suchten erst einmal ziemlich lang, bis wir einen Parkplatz hatten. Gesucht, gefunden! Der Parkplatz war kostenlos. Auf in die Innenstadt. Die Innenstadt war voll. Mir fiel das nach so langer Zeit der Abstinenz gar nicht mal wirklich bewusst auf. Doch als wir auf dem Weg zum Markt in den ersten Laden gingen, als einzige die Maske aufsetzten fiel mir bewusst auf, wie voll es dort war. In den Niederlanden war an dem Tag keine Maskenpflicht mehr. Doch meine Freunde und ich setzten trotzdem die Maske auf. Was ist 20 Minuten Maske tragen im Vergleich zu einem möglichen Aufenthalt auf der Intensivstation?


Ich dachte es wären hauptsächlich Deutsche, die dort einkaufen gingen. Doch der Eindruck täuschte. Ich würde mal sagen, der Anteil der Deutschen lag so bei 20%. Die Innenstadt war voll, die Läden waren voll, der Markt war voll, die Foodstände waren voll. Alles war voll. Das Wetter war durchwachsen, nicht zu warm, nicht zu kalt. Irgendwann sagte meine Freundin: "Fast wie früher!" Ein paar Läden hatten neue Besitzer, das eine oder andere Ladenlokal wurde gerade umgeräumt. Also Corona war auch nicht spurlos an der Innenstadt in Winterswijk vorbei gegangen. Und doch war die Innenstadt mit zufriedenen, fröhlichen Menschen gefüllt.


Ich fing erneut an, zu analysieren: Was machen die Holländer denn soviel besser als wir in Deutschland? Warum war es dort belebter als bei uns? Wir hatten kürzlich Krammarkt in Bocholt, doch der war lange nicht so voll, wie dieser ganz normale Samstag in Winterswijk. Winterswijk und Bocholt sind doch nur 17 km auseinander. Was war der Unterschied?


Der erste Unterschied, der mir auffiel: Zwischen den Läden gab es auch Gastronomie. Überall saßen Menschen auf der Straße tranken einen Kaffee, aßen einen Kuchen, Eis oder Pommes. Menschen verweilen in der Nähe der Geschäfte, sie halten inne, sie teilen sich vielleicht sogar auf: Männer und Kinder zur Eisdiele, die Frauen gingen doch noch einmal schnell in den nahegelegenen Laden.


Der zweite Unterschied war die Vielfalt. Die Ladenvielfalt ist bunt in Winterswijk. Kleine einfache Lädchen neben alten traditionellen Geschäften, kleine Cafés neben einem Kaufhaus. Bocholt wird mehr und mehr eindimensional, Ketten dominieren das Innenstadtbild. Bocholt fehlt mehr und mehr der Sinn für den ganz besonderen Charme. Und hier will ich Bocholt nicht an den Pranger stellen, das kann man auf 80% alle deutschen Innenstädte adaptieren. Es ist ein deutsches Phänomen. Was läuft hier bei uns in Deutschland denn so falsch?


Der dritte Unterschied war die versteckte Einladung, es gab keine spürbare Trennung zwischen Shopping und der Einladung zum Hinsetzen. Man fühlte sich als Kunde zum Verweilen eingeladen! Ich fühlte mich willkommen in Winterswijk. Man konnte den Kaffee zu sich nehmen und direkt schon wieder Appetit auf die Auslage im Laden nebendran bekommen. Man musste nicht ans andere Ende der Stadt laufen, um einen Kaffee zu trinken. Nein man konnte nach dem Kaffee mit dem Shoppen dort wieder anfangen, wo man gerade aufgehört hatte. Das war einladend! Es hatte etwas von Entspannung, ja fast einen Hauch von Urlaub.


Liebe städtischen Entscheider! Bitte tut was! Rettet unsere Stadtkultur! Sprecht versteckte Einladungen aus, unterstützt den Handel indem ihr Leitplanken vorgebt. Die Leerstands-Initiative ist das eine, doch sprecht mit den Immobilienbesitzern in der Stadt, macht aus Filialen großer Ketten lieber Cafés und Verweilplätze. Beruft Euch nicht auf Studien von hochbezahlten Universitäten die eine Trendentwicklung von 2016 bis 2018 hochrechnet. Das ist Schnee von gestern, die BügerInnen haben sich längst neu erfunden.


Liebe städtischen Entscheider, folgt lieber Eurer langjährigen Erfahrung, Eurem Bauchgefühl und schaut Euch von anderen ab, wie es funktioniert. Arbeitet zusammen! Wartet nicht darauf, dass Investoren etwas tun wollen. Wartet nicht ab, bis der Verfall der Stadtkultur nicht mehr zu übersehen ist. Wenn ihr erst darauf wartet, dass niemand mehr in die Stadt kommt, kostet es Euch das 10-fache an Zeit und Geld, um die KundInnen wieder aus den anderen Städten zurück zu gewinnen. Für diese Erkenntnis benötigt ihr keine Studien, das sagt mir - und Euch doch auch -der gesunde Menschenverstand. Ich hätte große Lust an einer neuen Innenstadt kreativ mitzuarbeiten, die die Menschen wieder einlädt, die nach Zukunft riecht, die in der Digitalisierung und Multi-Channel angekommen ist. Doch ich bin mit meinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen unbequem und wenig populär, ich bin eine emanzipierte Konsumentin und mich interessieren Traditionen und bestehende Seilschaften und alte Wege nicht. Mich interessieren keine Probleme und Deckungsbüsche! Mich interessieren Lösungen!


Liebe Entscheider der deutschen Innenstädte: Die Konsumenten fehlen nicht! Sie sind da... sie warten nur auf Eure Einladung zum Verweilen! Wer ist eigentlich der Entrepreneur der Innenstädte? Ich würde gerne anfangen, darüber zu diskutieren!





24 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Kommentare


bottom of page