Gerade cruise ich in meiner Kaffeepause durch LinkedIn und stoße auf einen Gast-Kommentar von Marcus Diekmann beim ZDF. Thema: "Soll der Einzelhandel gefördert werden oder nicht?" Hierbei ging es in erster Linie um Galeria Kaufhof, die erneut vor dem finanziellen Aus steht.
Er sagt nein, denn Konzepte, die sich nicht in kürzester Zeit selbst finanzieren sind nicht zukunftsträchtig. Weiterhin nehmen große, subventionierte Geschäfte den kleinen Einzelhändlern die Kaufkraft weg. Weiterhin sagt er: In den kommenden 2 Jahren wird sich erneut das Kaufverhalten stark verändern, denn Konsumenten werden sich entscheiden zwischen Urlaub oder Handel. Für beides werden die Bürger durch die Teuerungen der Lebenserhaltung und des Lebensunterhalts keine Kaufkraft mehr haben.
Der Handel muss als Innenstadt agieren und das gemeinsam mit den Kommunen, und hier stimme ich ihm zu. Seit Jahren schaue ich auch in anderen Städten immer wieder mit offenen Augen und frage mich: Was bekommen die hin, was wir nicht hinbekommen? Und ich komme immer wieder an den Punkt, dass die Niederländer es uns einfach sehr gut vormachen. Digitalisierung ist für niederländische Händler kein Thema mehr, denn sie sind seit rund einer Dekade bereits digital. Doch auch die niederländischen Innenstadtkonzepte sind besser, denn die Menschen verweilen dort.
Ich war letztes Wochenende auf Texel. Klar waren dort viele Touristen unterwegs, ich war ja selbst auch eine Touristin. Doch die Städte auf Texel haben das gleiche Konzept wie alle Städte in den Niederlanden. Egal ob ich nach Winterswijk, Arnheim, Doetinchen, Eindhoven, Amsterdam, Venlo oder eben nach de Koog oder den Burg gehe: Alle Städte laden zum Verweilen ein. Alle Städte haben einen engen Schulterschluss zwischen Handel und Gastronomie, zwischen Konsum und Erholung, zwischen "Schummeln gohn" und "en Tässken Koffie drinken und en bättken klönen, Löh kieken und dann wietter schummeln gohn".
Holländische Innenstädte erlauben Leben im Fußgängerbereich, sie erlauben Ausstellungsware vor dem Haus, sie erlauben, dass die Bäckerei neben dem Schuladen ist, der Metzger neben dem Blumenhändler oder dem Bücherladen, das Restaurant oder die Pizzeria neben der exklusiven Damen-Boutique und der Delikatessenladen neben dem Spielzeugladen. Man kann schoppen und einkehren und in Holland hat man nicht das Bedürfnis mit dem Auto bis in den Laden zu fahren. Holländer erlauben, dass Menschen auch mal vor der Tür sitzen und dort ihr Stückchen Kuchen essen, man kann sich mitten in die Fußgängerzone setzen und man muss sich dafür nicht die nächste offizielle Bank der Kommune suchen, um mal durchzuatmen. Parkplätze sind dezentral und man darf sogar länger als 1 Stunde parken, in einigen Städten muss man nicht einmal Parkgebühr bezahlen. Eine holländische Politesse habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen, obwohl ich echt viel in Holland unterwegs bin.
Eine Innenstadt braucht ein Konzept, ein gemeinsames Konzept, in dem Kommune mit Handel und Gastronomie zusammen arbeitet. Eine Innenstadt von heute braucht keinen Blick nach hinten, sondern den Blick nach vorne.
Ich habe als Projekt Managerin mit anderen Ländern und anderen Kulturen zu tun gehabt, wie z. B. mit Singapore und China - wo ich sogar gelebt habe - mit Indien, Kanada, USA, ja sogar mit Mexiko. Meine Schwester hat in Südafrika gelebt und lebt heute in England und wir tauschen uns viel über die Erfahrungen aus, die wir beide machen. Meine Augen bleiben durch solchte Gespräche offen.
Gestern wurde ich gefragt, was der große Unterschied zwischen dem Arbeiten in Deutschland ist, und dem z. B. mit Indien oder den USA. Nun, der Unterschied ist recht einfach zu erklären: Im Ausland redet man über den Happy Case, das Ziel, die Vision, was man umsetzen will. In Deutschland konzentriert man sich auf die Ausnahme, das Worst Case Scenario, den Blocking Point. Im Ausland fällt man mit seinen Projekten schon mal auf die Nase, muss nachjustieren, nachbessern, umschwenken, anpassen. In Deutschland fängt man mit vielen Projekten erst gar nicht an, weil der Garantieschein für den Erfolg nicht auf dem Tisch liegt.
Liebe Händlerinnen und Händler, verbündet Euch mit der Gastronomie und macht Eurer Kommune einen konkreten Vorschlag, wie Ihr Eure Vision für Eure Innenstadt seht! Versetzt Euch auch in die Belange der Kommune, und reicht ihnen die Hand. Macht gemeinsam einen Ausflug nach Holland und schaut Euch die Städte an. Arbeitet aktiv mit Eurer Kommune an einer Transformation in die jetzige Zeit. Vergesst was früher war, konzentriert Euch auf das, was sein soll. In welcher Innenstadt wollt Ihr Euer Geschäft öffnen?
Erlaubt Euch eine gemeinsame Vision, um Euren Fortschritt möglich zu machen.
Ihr seid Teil der Lösung! Auch Marcus Diekmann sieht das in seinem Beitrag so!
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